Slow Motion Train Wreck

Mir fehlt auf Deutsch ein so passender Begriff für eine langsam sich anbahnende Katastrophe; der wäre gerade nötig zur Beschreibung der Situation in Sri Lanka, das mit einer Mischug aus Pech, Nepotismus und Inkompetenz gerade voll an die Wand fährt.

Vor zwei Wochen gab es schon Massenproteste gegen die Regierung wegen ihres Managements der diversen Krisen; am Tag darauf dann eine Fernsehansprache des Präsidenten, wo er außer “äh, bisschen Geduld noch bitte” nicht viel gesagt hat, seitdem köchelt die Stimmung so vor sich hin und immer mal wieder gibt’s irgendwo eie Blockade oder so. Der Präsident (der bei der sinhalesischen Mehrheit hauptsächlich als Kriegsheld beliebt ist, der den Bürgerkrieg mit der LTTE blutig beendet hat) ist übrigens der Bruder des Premierministers. Und des Finanzministers. Und des Ministers für Bewässerung (Sri Lanka hat eh eine komplett irrsinnige Zahl an Ministerien, die sich auch ständig ändert. Nicht übertrieben: ich kenne Leute, die ihre Unterwäsche länger benutzen als manche Minister hier ihren Posten bekleiden). Und der Onkel des Ministers für Jugend und Sport. Die meisten anderen Geschwister haben divere Direktorenposten in Regierung, Finanzkommissionen, Medien etc., damit ist eigentich alles gesagt, was man über Kompetenz und und Geldflüsse im Land wissen muss.

Auch ein Finanzminister vom Fach hätte sicher seine Probleme gehabt. Die wichtigsten Wirtschaftssektoren sind Teeanbau, Textilverarbeitung und Tourismus. Tourismus hat schon ab Ostern 2019 wegen der Terroranschläge riesige Einbußen gehabt. Als der sich gerade wieder am erholen war, kam COVID und hat ihn erstmal komplett lahmgelegt, zusammen mit den Großteil des Landes außer der Landwirtschaft. Textil ist zwar nicht ganz der Billigstmarkt wie z.B. Bangladesh sonder eher Edelmarken, die qualifiziertere Arbeiter brauchen und etwas weniger schlechte Arbeitsbedingungen bieten, die sich aber immer noch hervorragend als COVID-Brutstätte eignen. In der ersten Welle war ja völlige Ausgangssperre, in der zweiten dann die zwischendurch wieder geöffnete Textilindustrie als erste wieder dicht, weil da die ersten Cluster gefunden wurden.

Nachdem die Regierung die zäh anlaufende Impfkampagne in die Verantwortung der Armee gelegt hat, läuft die ganz gut, und die Wirtschaft hat sich mit der Öffnung in 2021 wieder langsam erholt. Militär ist halt das, was sie zweifellos können, und die Militärs können Logistik. Zwischendurch haben sie sich natürlich Sorgen um die Staatsschulden und insbesondere die negative Außenhandelsbilanz gemacht – ist für so einen Kleinstaat nicht so einfach, mal eben Geld zu drucken. Die geniale Lösung dafür war auch typisch militärische Kommandowirtschaft: quasi von einem Tag auf den anderen wurde im Juni 2021 der Import von Dünger und der Handel mit Pestiziden verboten und die Losung ausgegeben, die Landwirtschaft auf “100% bio” umzustellen. Das war tatsächlich so spontan, dass sie bereits unterwegs befindliche Schiffe mit Düngerlieferungen wieder heimgeschickt haben. Ohne dass sich irgendjemand darauf vorbereiten oder auch nur ein vernünftiges Getrenntsammelssystem für Biomüll hätte planen können kam das besonders bei den Teebauern, die einen Haufen Dünger brauchen, genauso gut an, wie man sich das vorstellt. Bis November haben sie den Plan dann wieder zum Großteil fallen lassen, aber Harnstoff darf weiter keiner importiert werden – was bei den gestiegenen Preisen ohnehin nicht so einfach wäre. Die Reisernte soll 2022 bis zu 50% niedriger ausfallen, beim Tee sieht es ähnlich schlecht aus, und die Außenhandelsbilanz wird auf keinen Fall besser davon. Stattdessen gehen die Lebensmittelpreise durch die Decke und viele Leute haben buchstäblich nicht mehr genug zu essen.

Nachdem die Landwirtschaft ordentlich was abgekriegt hat, kommt jetzt der große Hammer für die gesamte Wirtschaft und besonders den Tourismus – u.a. das britische Außenministerium rät schon von Reisen nach Sri Lanka ab. Offiziell geht es auch um COVID und Dengue, was ich nicht wirklich nachvollziehen kann, denn die Zahlen sind hier deutlich niedriger als in Europa und das Gesundheitssystem anders als noch im letzten Herbst keineswegs überlastet. Vor allem aber sind es die Stromausfälle und der Mangel an allen möglichen Brennstoffen und sonstigem importiertem Zeug. Die Lieferungen liegen alle im Hafen, aber die staatlichen Energieversorger sind derartig klamm, dass sie die nötigen Devisen nicht zusammenbringen und am Ende oft mehr as das das doppelte des ursprünglichen Preises zahlen müssen, weil irgendein Tanker wochenlang nutzlos rumgedümpelt ist und jeden Tag einen Haufen Ged gekostet hat. Warum die klamm sind? Die stellen alles mögliche Zeug unter Einkaufspreis zur Verfügung. Es gibt ein paar Subventionen für Kleinstverbraucher, aber der Löwenanteil geht an die privilegierten Export-Industrien. Normal hat der Staat da kein großes Problem, aus den Haushalt etwas zuzuschießen, aber die Steuereinnahmen sind unter dem Rajapakse-Clan auch erst mal um 30% eingebrochen. Das waren weniger die COVID-Ausfälle als die beliebten Steuersenkungen, offiziell begründet mit den üblichen Phrasen aus der Trickle-Down-Ideologie, inoffiziell wäscht natürlich eine Krähe der anderen die Hände, oder so ähnlich.

Das Problem mit den Devisen betrifft auch Sachen wie Medizin, was Touristen auch nicht so gut finden, insbesondere die älteren, die im Gegensatz zu den Backpackern und Surfern ordentlich Geld bringen. Speziellere Medikamente z.B. für Herzkrankheiten und Diabetes sind jetzt schon selbst für reiche Srilanker nicht zu haben, drum vermutlich für Touristen auch nicht.

Normalerweise hat Sri Lanka etwa 40% Wasserkraft-Anteil an der Energieproduktion, aber seit Mitte letzten Jahres regnet es zu wenig, deswegen stehen mittlerweile viele Anlagen still, um nicht die Reservoirs für die Landwirtschaft leer zu machen. Im Bezug auf Primärenergie ist das Land eh furchtbar abhängig von Importen:

Sri Lankas Energiemix

Deswegen gibt es jetzt täglich kilometerlange Schlangen an den Tankstellen und Gas-Shops, und zweimal täglich wird der Strom für 2-3 Stunden abgestellt. Schlaue Leute haben sich vorher einen Generator besorgt; u.a. bei Cristinas Büro gehört das zur Pflichtausstattung. Bringt nur nichts, wenn man das nötige Diesel dafür nicht bekommt. Ich erweitere jetzt meine USV mit einer oder zwei Autobatterien, um zumindest Computer und Monitor ein paar Stunden versorgen zu können; Ventilator geht dann halt nicht.

Eigentlich produziert unser Haus dank Solarpanels mehr Energie, als es verbraucht. Blöderweise hat es aber keine Batterien, und der einzige Wechselrichter, den das Ceylon Electricity Board zur Netzeinspeisung zulässt, ist abhängig von einer externen Synchronisation, d.h. einfach die Hauptsicherung ausschalten und das Ding autonom das Haus versorgen lassen geht auch nicht, selbst wenn die Panels den ganzen Tag auch bei Bewölkung locker genug für unsere paar Gerätchen erzeugen.

Man darf gespannt sein, wie das weiter geht. Einer unserer Nachbarn, der als Strafverteidiger ziemlich gut mit Politik und Wirtschaftsbossen vernetzt ist (“waren alle irgendwann mal meine Klienten, höhö”), meinte ganz locker, er würde ja nicht viel drauf wetten, dass das Land das nächste halbe Jahr “überlebt”. Ich hoffe, er meinte bloß die Regierung.