Ungeschützter Verkehr
So, wir haben jetzt auch ein Auto. Bisher haben es zwei 125er Honda- bzw. Kolao- (die Südkorea-Laos-Technik-Koop) Mopeds getan, aber der Verkehr ist schon ziemlich scary hier. Eigentlich ist mir diese Rüstungsspirale auf der Straße ja zutiefst zuwider, aber wenn wir Leo durch den Berufsverkehr zum Sport oder sonstwohin karren müssen dann hab ich doch auch lieber etwas Blech drum rum – wenn die Laoten mal fahren lernen, können wir noch mal drüber reden.
Leute, die schon länger hier wohnen, erzählen einem, wie hier vor 15 Jahren noch die Hühner auf der Straße rumgelaufen sind und Vientiane eine Handvoll befestigter Straßen hatte. Die haben sich also in einem guten Jahrzehnt ins 21. Jahrhundert katapultiert und offenbar kommt die kulturelle und ausbildungsmäßige Entwicklung da nicht ganz mit. Sogar unser Laotisch-Sprachführer von 2012 meint noch:
Die laotischen Straßenverkehrsregeln sind im Detail nicht immer klar und äußerst fahrradfahrer- und fußgängerfreundlich.Vielleicht sind sie das sogar in der Form, wie sie irgendwo auf einem geduldigen Stück toten Baums stehen, aber in der Praxis kann ich das nicht finden. Bei den Thais habe ich den Eindruck, die fahren wie die Henker, weil’s ihnen wurscht ist (Wiedergeburt ist schon was tolles), während die Laoten es schlicht nicht gelernt haben. Ein Führerschein ist de facto genausowenig Voraussetzung zum führen eines Kraftfahrzeugs wie ein funktionierendes selbiges. Eigentlich muss man ständig so fahren, als würde das Moped, das einem gerade mit 60 Sachen, einer kleinen Schwester und einer mit Wäscheleine festgefrickelten 15kg-Gasflasche hinten drauf auf der falschen Straßenseite entgegenkommt (was man – die Lichtanlage ist natürlich ebenso toll gewartet wie Auspuff und Bremsen, also zuletzt so 2003 rum – zwar deutlich hören, aber nicht sehen kann) von einem übermüdeten Dreizehnjährigen “gesteuert”, der gerade sein fünftes Jahr hinter der Lenkstange mit einem ordentlichen Becher Lao-Lao begossen und nur deswegen gerade aufgehört hat, darüber mit dem Handy was ins Fratzenbuch zu schreiben, weil ihm der Wind eine Ladung des ubiquitären Staubs ins ungeschützte Gesicht geblasen hat.
Die Kombination mag jetzt hauchzart übertrieben sein, aber einzeln sind das alles alltägliche Sachen. 2003 steht z.B. auf dem Inspektionsaufkleber auf dem Moped unserer Putzfrau. Wobei “Inspektion” nicht heißt, dass da was anderes als die umgerechnet 1,50 € inspiziert würden, die der Aufkleber kostet. Oder dass man den irgendwo hin kleben müsste, wo man (also die Polizei z.B.) ihn sehen kann. Auf der linken Straßenseite Abkürzungen fahren oder den Gehsteig zur Rushhour mal eben zur Mopedspur umwidmen, das macht wirklich jeder. Die Kinder mit dem Moped zur Grundschule fahren lassen ist nicht ganz so verbreitet, aber zumindest in der Provinz geht das immer. Um nachts besoffen mit Vollgas auf dem Hinterrad um den Präsidentenpalast zu jagen, dafür braucht’s einen gewissen sozialen Status, aber den haben zumindest genug Teenager, dass man das wochenendlich beobachten kann.
Die Folgen sind dann natürlich auch offensichtlich. Ich habe in den paar Monaten hier locker so viele Unfälle gesehen wie in meinem ganzen bisherigen Leben zusammen – und da waren ja auch schon einige Jahre in für eher lockere Interpretation der Verkehrsregeln bekannten Ländern dabei. Neulich auf dem Weg ins Schwimmbad gleich zwei hintereinander, und immer wieder irgendwo reingedengelte Mopedfahrer. Dass die alle nicht fahren können, führt auch dazu, dass die Stadt ständig Stau hat, ob wohl das nicht sein müsste. Das sagt in Deutschland zwar auch jeder, aber hier sind auch noch die Ampelschaltungen daran angepasst. Wenn man die nämlich so schalten würde, dass immer eine Straße grün hat und Linksabbieger eine Extra-Ampel haben, dann wäre das viel zu kompliziert. Das gäbe ständig Frontalzusammenstöße und viel böses und sonstiges Blut. Stattdessen hat immer eine Richtung grün, und da darf dann beliebig gefahren werden, wobei rechts abbiegen immer geht – ob offiziell oder de facto, weiß ich nicht. Die Phase wechselt im Uhrzeigersinn, und wenn die Ampeln auf einer Straße synchronisiert sind, dann ist das wörtlich zu nehmen: wenn man an der einen grün hat, hat die nächste das zur selben Zeit in der selben Richtung und wird grad wieder rot, wenn man hin kommt.
Nummernschilder sind immerhin allgemein üblich. Es sagt aber auch niemand was, wenn man mal längere Zeit keins hat. So wie wir gerade, weil unser Auto noch nicht angemeldet ist. Macht eine Firma für uns; die machen einen Haufen Geld damit, des Laotischen nicht mächtigen Leuten ihre (in diesem Fall erhebliche) Bürokratie zu erledigen, die einen sonst wochenlang in Atem halten würde. Immerhin kommen die für das Geld zu Hause vorbei und holen die Unterlagen; als die Frau da war, rief sie mich an und meinte, “I should be close to your place now, look out for a black Hyundai without license plate”. Des Schusters Kinder laufen ja bekanntlich barfuß. Wenn uns doch mal jemand anhalten sollte, dann sollen wir sie anrufen und mit den Cops reden lassen, sie “regelt das dann schon”.
Die Anmeldung müssen wir überhaupt nur machen, weil die Verkäuferin bei der Botschaft gearbeitet hat, und die machen sowas ordentlich™. Also abmelden, wenn man wegzieht z.B. Das erste Auto, das wir angeschaut haben, war noch auf die Leute angemeldet, von denen die Besitzer es vor sechs Jahren gekauft hatten. Man kriegt da ein kleines Kärtchen mit Fahrzeugdaten und Nummer drauf, und wenn man bei einer Kontrolle das zum Fahrzeug passende dabei hat, glauben sie einem i.d.R., dass man das nicht geklaut hat. Im schlimmsten Fall muss man noch den Kaufvertrag zeigen, aber der Name auf dem Kärtchen ist völlig schnuppe.
Egal – unser für die Stadt reichlich übermotorisiertes Blechverhüterli (ich hoffe ja, dass wir 4WD und so in den wilderen Landesteilen noch mal ausnutzen können) wird jedenfalls den richtigen auf der Karte stehen haben. Mal sehen, angehalten wurden wir bisher immer nur vom Stau. Und zu Leos Schule habe ich einen Weg über kleine Dirt Roads gefunden, den wir zumindest zusammen auch mit dem Rad zurücklegen können, was wir seit diesem Schuljahr auch fast jeden Tag machen.